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2017-06-04 | 76 |
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Jede Tote erhöht die Quote
Die Kriminalität sinkt – aber die Angst davor steigt dramatisch
a) Hausen (Arne Kühn).Eine westdeutsche Kleinstadt, 20 Uhr an einem milden Sommerabend: Die Dämmerung senkt sich über den historischen Stadtplatz mit der ehrwürdigen Lutherkirche, die auf alt gemachten Straßenlampen legen ein weiches Licht über gemütliche Restaurants, Pilspubs, Straßencafes. Seltsam nur – die Lokale sind fast völlig leer. Ähnlich gespenstisch wirkt die Menschenleere in den verwinkelten, aber hell beleuchteten Gassen und Straßen. Das ist nicht nur an diesem Sommerabend so. Ein Ergebnis hoh-er Arbeitslosigkeit? Weit gefehlt – die Arbeitslosenrate in Hausen liegt unter dem Bundesdurchschnitt, das Durchschnittseinkommen deutlich darüber.
b) Die wenigen Fußgänger wirken gehetzt, blicken mit unruhigen Augen von links nach rechts. Geht der Reporter auf sie zu, weichen sie zurück. Irgendwann erbarmt sich einer und bekennt: „Ich habe Angst. Der Mörder könnte noch immer hier sein. Man weiß das ja aus dem Fernsehen.“ Welcher Mörder? „Na der, der vor einem Jahr die Frau auf dem Stadtplatz niedergestochen hat.“ Und er verschwindet schnell hinter einer Tür, die hörbar über eine Batterie von Schutzvorrichtungen ver-fügt.
c) Angst vor Mord und Totschalg in bundesdeutschen Städten, das ist kein Einzelfall, bestätigen Kriminologen. Sie beschäftigen sich seit Jah-ren mit dem Verhältnis von Kriminalitätswahrnehmungen und tatsächlicher Kriminalität. Schlagend sind ihre Forschungsbefunde: Bürger al-ler Altersklassen haben mehr Angst, Opfer einer Straftat zu werden, als die Statistik hergibt. Zwischen 1993 und 2003 nahmen zum Beispiel Mordfälle um 41 Prozent ab. Aber bei Befragungen unter einer repräsentativen Stichprobe von Bundesdeutschen ergab sich: Die Menschen waren sicher, dass Mordtaten um 26 Prozent anstiegen. Das Gleiche gilt für viele andere Straftatbestände: Sexualmord – tatsächlich ein Rückgang um 38 Prozent, wahrgenommen eine Steigerung um 259 Prozent!
d) Die Diskrepanz von Glaube und
Wirklichkeit – sie wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. „Für Wohnungen in der Innenstadt findet man fast keine Mieter mehr“, berichtet der Vorsitzen-de des Hausbesitzervereins, und im Ge-werbeamt erfährt man, dass innerhalb der letzten zwei Jahre 15 von 32 Loka-len pleitegegangen sind. Nach sieben Uhr abends geht kaum mehr jemand durch die Straßen, trotz hoher Polizeipräsenz. „Früher fuhr ein Polizeiwagen etwa alle drei Stunden durch die Innen-stadt, jetzt zwei Wagen gleichzeitig während der ganzen Nacht. Dadurch möchten wir den Menschen Sicherheit vermitteln“, erläutert der Polizeichef Franz Wering. Doch befragt man die Leute, merkt man, dass dieser Polizei-einsatz genau den gegenteiligen Effekt hat. „Wenn so viel Polizei auf der Straße ist“, so Margarethe Wirt, eine ältere Hausener Dame, „muss es hier ja gefährlich sein.“
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e) Und dann fängt sie mit ritternder
Stimme an von der Woche zu berich- ten, als in Hausen alles anders wurde, jener Woche im Mai vor einem Jahr. Zwanzig Jahre hatte es in Hausen kei-nen Mord gegeben, aber plötzlich zer-brach der Frieden der kleinen Stadt. Eine Frau war um Mitternacht auf dem Marktplatz erstochen worden, vom Täter fehlte jede Spur. Wilde Gerüchte machten die Runde, das Lokalfernsehen berichtete fast durchgehend von diesem Thema. Der Täter wurde nie gefasst. Das war für den Lokal-TV-Sender ein gefundenes Fressen: Man kaufte eine Serie auf, in der auf reißerische Weise über ähnliche unge-klärte Mordfälle in Kleinstädten berichtet wurde. Dass die Serie aus den USA stammte, war egal – sie zeigte Wirkung. Unglücklicherweise gab es ein paar Monate später noch einen abendlichen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft. Der Täter wurde diesmal zwar festgenommen, aber die Tat trug noch zur allgemeinen Hysterie bei.
f) Aus Kreisen der Kriminologen
wird denn auch bestätigt: Die Me-dien sind vor allem schuld an der Kriminalitätspanik. Weil jede Tat ta-gelang durch alle Schlagzeilen und Hauptnachrichtensendungen gejagt wird, weil „Reality-Soaps“ und „Reality-Dokus“ auf Dutzenden Kanälen zur besten Sendezeit in die Wohnzimmer flimmern, weil täglich viele hundert Menschen in Krimis ermordet werden, verschiebt sich das Weltbild der Menschen. Gehirnwäsche könnte man es auch nennen. Natürlich – die Sender sind keine bösen Verschwörer, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzen wollen, sie haben nur die Quote im Sinn. „Jede Tote erhöht die Quote“, so ein Fernsehmann zynisch, der namentlich nicht genannt werden will. Das Verrückte dabei ist: Selbst wenn das Fernsehen plötzlich über den tatsächlichen Rückgang der Kriminalität berichten würde, würde es keiner glauben – die Macht der kriminellen Bilderflut setzt an Urängsten an, und dagegen sind positive News oder erst recht positive Polizei-statistiken recht kraftlos. Dass Politiker auf den Zug aufspringen und gern von Gesetzesverschärfung reden und ihr „Wir-müssen-mehr-für-die-Sicherheit-tun“ – Blabla von sich geben, um als Macher dazustehen, verwundert da nicht...
g) Manchmal ist das Schicksal aller-
dings gerecht: Der Lokalsender, der die Hysterie so sehr geschürt hatte, ist in-zwischen pleitegegangen. Jetzt werden die Hausener, wenn sie abends statt im luftigen Straßencafe in ihrem muffigen Wohnzimmer hocken, nur noch vom normalen Wahnsinn aus den Flachbild-schirmen berieselt. So kann man auf dem schönen Hausener Marktplatz nur hoffen, dass irgendwann einmal Gras über diese Sache wächst und eine ge-wisse Normalität zurückkehrt. Auch wenn dazu das Bewusstsein gehört, dass pro Woche einige tausend Menschen im Fernsehen ermordet werden. Im Fernsehen – oder in der Realität?
Westdeutscher Anzeiger, 5.8.2010
Aufgabe 2. Klären Sie als Erstes unbekannte Begriffe. Schlagen Sie im Wör-
terbuch nach, was folgende Ausdrücke bedeuten.
Kriminologie
repräsentativ
Diskrepanz
Polizeipräsenz
Quote
zynisch
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Поперечные профили набережных и береговой полосы: На городских территориях берегоукрепление проектируют с учетом технических и экономических требований, но особое значение придают эстетическим...
Семя – орган полового размножения и расселения растений: наружи у семян имеется плотный покров – кожура...
Состав сооружений: решетки и песколовки: Решетки – это первое устройство в схеме очистных сооружений. Они представляют...
Типы сооружений для обработки осадков: Септиками называются сооружения, в которых одновременно происходят осветление сточной жидкости...
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